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„Der ist im Durchgang und muss noch wach werden.“ Das sagten Kollegen früher zur Pflegeschülerin Christina Wiedl, wenn ein Patient müde, verwirrt war oder sich Zugänge herausriss. Heute ist Christina Wiedl Praxisanleiterin auf einer internistischen Intensivstation in der München Klinik Neuperlach. Und sie sensibilisiert dafür, dass Delir kein „Durchgangssyndrom“ ist, sondern eine eigene Diagnose wie Atemnot. Eine Diagnose, der man mit pflegerischen Maßnahmen begegnen muss.
Delir ist eine akute, organisch bedingte Psychose, die mit Gedächtnis- und Orientierungsverlust sowie Angst und Erregung einhergeht.
aller Intensivpatienten entwickelt ein Delirium. Es erhöht das Risiko auf längere Liegezeiten und zugleich die Sterblichkeit.
der Patienten behalten nach einem Delir kognitive Funktionsstörungen zurück, vergleichbar mit einer milden Alzheimer-Demenz.
Pflegeexperten unterscheiden zwischen hyperdynamem („laut“) und hypodynamem („leise“) Delir. Der eine Patient ist extrem agitiert, manchmal aggressiv und will sofort aufstehen. Dann gibt es jene, die „pflegeleicht“ wirken und die Christina Wiedl besonders im Auge behält.
„Der Patient im hypodynamen Delir ist müde, will viel schlafen. Man übersieht, dass er ein Problem hat.“
Gezielte Nachfragen beim Patienten „Wo sind Sie gerade?“ klären die Situation. Wenn die Antworten Orientierungslosigkeit offenbaren, liegt ein Delir vor.
Um einzuschätzen, ob ein Delir vorliegt, arbeiten viele Stationen mit „CAM-ICU“ (Confusion Assessment Method) für Intensivstation. Ein Delir liegt vor, wenn die Faktoren 1, 2 und 3 oder 1, 2 und 4 positiv sind
1 Psychische Veränderung
Verändert sich das Verhalten des Patienten akut gegenüber dem Vortag oder im Tagesverlauf?
2 Aufmerksamkeitsstörung
Vorlesen einer Buchstabenkette z.B. „A N A N A S B A U M“. Der Patient soll bei „A“ die Hand des Fragendenden drücken.
3 Bewusstseinsstörung
4 Unorganisiertes Denken
Diese Fragen prüfen, ob der Patient logisch denken kann.
Tagsüber geht es darum, durch kognitive Anregungen die Orientierung des Patienten zu unterstützen. Die Pflegekräfte sprechen z.B. mit dem Patienten über das Wetter, bieten durch Radio und Telefonate mit Angehörigen eine Verbindung mit der Außenwelt. Auch eine große Uhr mit Datumsanzeige kann die Orientierung in Raum und Zeit verbessern.
„Noch wichtiger sind aber Gegenstände, die der Patient wiedererkennt. Das eigene Duschgel, das Foto von der Familie oder das Lieblingskissen“, sagt Christina Wiedl. Dazu kommen natürlich eine gute Schmerztherapie und eine Frühmobilisierung.
Auf der Intensivstation ist es immer hell. Umso wichtiger ist es, trotzdem den Tag-Nachtrhythmus einzuhalten. Das beginnt schon am Tage mit Aktivitäten, die den Patienten müde machen. Oft sind es die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen: die Monitore im Patientenzimmer zu dimmen und die Alarme nachts leiser zu schalten zum Beispiel. Auch Augenmasken oder Ohrstöpsel können helfen.
„Ich erkläre dem Patienten immer, warum wir nachts sein Zimmer betreten, um beispielsweise die Vitalzeichen zu kontrollieren“, sagt Christina Wiedl.
Wenn der Patient seine Hilfsmittel wie Hörgerät, Brille und Zahnprothese direkt nach einer Operation zurückbekommt, unterstützt dies die Re-Orientierung.
Risikofaktoren für ein Delir sind Alter, kognitive Beeinträchtigungen, bestehende Vorerkrankungen und schwere Begleiterkrankungen. Betroffene sind häufig älter als 65 Jahre, aber auch Jüngere können ein Delir entwickeln.
Delirmanagement funktioniert am besten als interprofessionelles Behandlungskonzept, bei dem sich pflegerische und medikamentöse Therapien ergänzen.
Ruhig bleiben. Atmen. Tief atmen. Das sagt sich Christina Wiedl in mancher Nachtschicht, wenn Patienten im Delir ihre ganze Aufmerksamkeit und Kraft fordern. Etwa der Patient, der um 4 Uhr nachts unbedingt aufstehen will.
„Mit Logik kommt man bei Patienten im Delir nicht weiter. Sie haben Angst, sind verwirrt und für Argumente nicht erreichbar. Es ist besser, auf ihre Ängste konkret einzugehen.“
Wenn es die Situation erlaubt, dann kommen Christina Wiedl und ihre Kollegen den Patienten weit entgegen – und stehen z.B. gemeinsam auf. Nach 2 Runden im Patientenzimmer ist der agitierte Patient dann meist müde – und bereit zur Rückkehr in sein Intensivbett. „Wichtig ist der Perspektivenwechsel. Der Patient will uns ja die Arbeit nicht schwermachen.“ Das sagt sich Christina Wiedl immer wieder, wenn sie eine schwierige Nacht vor sich hat.
„Manchmal muss man sich richtig zusammenreißen, wenn wir agitierte Patienten haben, die uns auf Trapp halten. Dann sprechen wir vor der Nachtschicht noch einmal mit unseren Ärzten und prüfen, was der Patient vielleicht als medikamentöse Unterstützung braucht. Und es hilft, sich im Team auszutauschen. Dann geht der andere Kollege zur Abwechslung ins Zimmer. Und man weiß, dass dieser Mensch in wenigen Tagen wieder er selbst sein wird. Der Gedanke hilft.“
Prävention und Intervention entscheiden nicht nur über Wohlbefinden und Mortalität des Patienten im Krankenhaus. Je länger das Delir auf der Intensivstation dauert, desto wahrscheinlicher sind anhaltende kognitive Defizite.
Laut Studien können auch bis zu ein Jahr später noch kognitive Probleme bei ehemaligen Intensivpatienten auftreten, welche auf ein Delir zurückzuführen sind. Deshalb sind frühzeitige pflegerische Interventionen so wichtig.
„Wir haben eine Patientin nach einer Geburtskomplikation auf Intensiv behandelt. Sie war extrem agitiert. Mit Unterstützung der Hebammen haben wir dann das Neugeborene geholt und auf ihren Bauch gelegt, während sie noch an der Beatmung war. Man konnte zusehen, wie sich Mutter und Kind allein durch den Körperkontakt innerhalb kurzer Zeit entspannt haben. Das zeigt deutlich, worum es beim Delir letztendlich geht.“
„…eine besondere Verbundenheit mit unseren Patient*innen. Einige kommen noch einmal zu Besuch, wenn sie die Reha absolviert haben. Dann sieht man nicht mehr Verwirrung und Schmerzen, sondern einen Menschen, der wieder in seinem Leben und Alltag angekommen ist. Oft erkenne ich die Person dann auf den ersten Blick gar nicht wieder. Das rückt die Anstrengung der Tage auf Intensiv wieder ins richtige Bild und zeigt, warum unsere Arbeit wichtig ist.“
Christina Wiedl ist ausgebildete Intensivfachpflegekraft. Sie war schon in der Ausbildung bei der MüK und absolvierte dabei einen Praxiseinsatz auf Intensivstation: Nach einigen Jahren auf einer gastroenterologischen Station, machte sie eine Ausbildung als Praxisanleiterin. Ihre Begeisterung für Intensivpflege und „mehr Action“ führten sie auf Station 11 in Neuperlach. Hier arbeitet sie in einem Team aus rund 30 Gesundheits- und Krankenpflegern. Das Teammotto ist: „…weil Pflege Spaß macht!“ Vier Praxisanleiter*innen sorgen auf Station dafür, dass das Wissen immer präsent und aktuell bleibt.
In der München Klinik Akademie können interessierte Schwestern und Pfleger die Fachweiterbildung für Anästhesie und Intensivpflege machen, auch in Teilzeit. D.h. wir freuen uns auch über Bewerbungen von Pflegekräften, die eine Weiterbildung anstreben.
Hier geht's zu allen Stellen für Gesundheits- und Krankenpfleger (w/m/d) Intensivpflege:
Offene Stellen für Pflege auf Intensiv, Notfall, IMC, KMT oder Stroke Unit