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Übelkeit bei onkologischen Patienten und Behandlungsansätze mit der Wunderknolle Ingwer

Laura Furtner, Gesundheits- und Krankenpflegerin im RoMed Klinikum Rosenheim auf einer internistisch- und hämatoonkologischen Station.

Schon vor 5000 Jahren wurde Ingwer in China und Indien als Heilpflanze verwendet. Konfuzius lobte die heilende Wirkung dieser goldenen Knolle. Selbst Seefahrer schienen zu wissen, dass sie gegen Übelkeit hilft, und kauten Ingwer gegen die Seekrankheit. 2018 wurde die Wurzel sogar als Heilpflanze des Jahres gewählt. Auch in der Onkologie ist dieses Wissen angekommen, und die antiemetische Wirkung von Ingwer inzwischen wissenschaftlich belegt worden.

Was passiert bei Übelkeit/Erbrechen?
Diese Symptome sind Schutzmechanismen des Körpers, bei dem vier unterschiedliche Strukturen beteiligt sein können:

  1.  Der Auslöser kann im Magen-Darm-Trakt liegen, der Störungen wie zum Beispiel Völlerei oder schädliche Substanzen über besondere Rezeptoren wahrnimmt und diese Information über den Vagusnerv ins sogenannte Brechzentrum im Gehirn weiterleitet. [8]
  2. Das Brechzentrum löst den eigentlichen Brechakt aus. Dieses Zentrum reagiert auch auf neurogene Reize aus verschiedenen Richtungen. Dieser Reiz kann entweder vom cerebralen Cortex kommen, welcher sensorische Erfahrungen wie Gerüche oder Anblickeerfasst oder vom limbischen System gesendet werden, hier spielen emotionale bzw. psychische Aspekte eine Rolle. Ist dies der Fall, spricht man von antizipatorischem Erbrechen. Beides hat eine direkte Verbindung zum Brechzentrum. [5]
  3. Auch das Vestibularorgan im Ohr hat eine direkte Verbindung zum zentralen Nervensystem und ist für das Gleichgewicht zuständig. Liegt hier eine Störung vor, wird das Erbrechen eingeleitet. Man bezeichnet dies auch als Reise- oder Seekrankheit. [5]
  4. Die letzte Struktur, die maßgeblich beteiligt ist, wird als Chemorezeptor-Triggerzone (CZT) benannt. Diese liegt außerhalb der Blut-Hirn-Schranke des Gehirns. Diese Zone hat viele Rezeptoren für Neurotransmitter, wie zum Beispiel Serotonin (5HT3), Neurokinin (NK1), Dopamin oder Adrenalin. Werden diese Rezeptoren stimuliert, leitet die CZT diesen Reiz an das Brechzentrum weiter, und es kommt gegebenenfalls zu Übelkeit und Erbrechen. Diese Zone funktioniert sozusagen als Kontrolleur für toxische Substanzen im Blut. [5]

Zeitliche Phasen der Übelkeit und des Erbrechens
Akutes Erbrechen
Tritt innerhalb der ersten 24 Stunden nach Beginn der Tumortherapie beginn auf und erreicht seinen Höhepunkt ein bis drei Stunden nach der Chemotherapie-Gabe. [1]
Verzögertes Erbrechen
Tritt erst später als 24 Stunden nach Therapiegabe auf. Dabei ist die Übelkeit oder das Erbrechen nicht so stark ausgeprägt wie bei der akuten Form. Sie kann bis zu fünf Tage andauern. [1]
Antizipatorisches Erbrechen
Ist eine Form der klassischen Konditionierung. Man könnte es auch als psychogen induziertes Erwartungserbrechen bezeichnen, das durch äußere Eindrücke, wie zum Beispiel Gerüche, Geschmack, visuelle Reize entsteht, oder aber durch psychische Faktoren wie Anspannung oder Angst beeinflusst wird. Die Ursache kann eine zu geringe antiemetische Prophylaxe bei vorangegangenen Therapien sein. Diese Art von Erbrechen kann zu jeder Zeit im Verlauf der Tumortherapie auftreten. [1]
 

So wird medikamentös behandelt
Grundsätzlich gilt, dass die Prophylaxe effizienter ist als die Therapie. Bei antizipatorischem Erbrechen werden Benzodiazepine (z. B. Lorazepam) eingesetzt. Diese haben eine angstlösende, entspannende und sedierende Wirkung. Glukocortikoide (Dexamethason) verstärken die Wirkung der 5HT3- und NK1-Rezeptorantagonisten und finden vor allem bei verzögertem Erbrechen ihren Einsatz. Den Serotonin-Rezeptor (5HT3) in der Chemorezeptor-Triggerzone zu blockieren, zeigt vor allem bei der Chemotherapie induzierten Übelkeit und Erbrechen gute Erfolge, wie zum Beispiel durch die Medikamente Ondansetron oder Granisetron. Auch kann dort der Neurokinin1-Rezeptor (NK1) mit den Medikamenten Aprepitant oder Fosaprepitant blockiert werden. Diese Medikamente werden aber nur in Kombination mit 5HT3-Rezeptorantagonisten eingesetzt und bewirken selbst bei hoch emetogenen Chemotherapien eine Vermeidung oder Minderung von akutem und verzögertem Erbrechen. [6]

Das kann die Pflege tun
Als erstes sollte eine ausführliche Information und Beratung über die antiemetische Therapie durchgeführt werden. Auch die Überwachung und Applikation der oben beschriebenen Medikamente nach Arztanordnung fällt in den Aufgabenbereich der Pflege. [5]
Ernährung
Es wird eine leichte Kost empfohlen, und diese ist auf mehrere kleinere Mahlzeiten am Tag aufzuteilen. Die Nahrung sollte in Ruhe eingenommen werden. Zum Essen sollte nur wenig getrunken werden, um ein Völlegefühl zu vermeiden. Dabei kann es auch hilfreich sein, mit einem Strohhalm zu trinken, um einer Überdehnung des Magens vorzubeugen. Außerdem können stark riechende Speisen die Übelkeit verstärken. So empfiehlt es sich zum Beispiel in manchen Fällen, die Abdeckung der warmen Speisen schon vor dem Betreten des Patientenzimmers zu öffnen, um im Raum einen starken Essensgeruch zu vermeiden. Auch ein gut belüfteter Raum kann schon zur Minderung einer Inappetenz beitragen. Des Weiteren sollte der Patient während einer Phase der Übelkeit bzw. des Erbrechens seine Lieblingsspeisen nicht essen, damit er keinen Ekel gegen diese Lebensmittel entwickelt. Durch trockene, stärkehaltige Lebensmittel wie Toast, Kräcker, Zwieback kann Erbrechen vermieden werden. Auch kurz vor der Chemo- oder Strahlentherapie ist zu empfehlen, keine Mahlzeiten mehr einzunehmen. [4]
Entspannungstechniken
Durch mehrere Studien konnte die Wirksamkeit von Entspannungstechniken zur Reduktion von Übelkeit und Angst nachgewiesen werden. Es ist ein ressourcenorientiertes Verfahren, das dem Patienten ein Instrument des Selbstmanagements in die Hand gibt. Diese Techniken können nach professioneller Anleitung in Eigenregie durchgeführt werden. Besonders empfiehlt sich hier die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson oder eine geleitete Imagination. [2]
Ingwer
Die antiemetische Wirkung von Ingwer wurde erst kürzlich durch eine Studie nachgewiesen. Seine scharfen Bestandteile deckeln den 5HT3-Rezeptor in der CZT. Doch was ist an dieser Information so wertvoll? In der Gesellschaft erhält Alternativmedizin einen immer größeren Stel-lenwert. So kann der Patient auf eine nicht-medikamentöse antiemetische Therapie zurückgreifen, die im Prinzip jederzeit zu Hause zur Verfügung steht und noch dazu einen nachgewiesenen Erfolg zeigt. Er kann sich so selbst helfen, was das Gefühl der Selbstwirksamkeit des Patienten stärkt. Dieses wiederum spielt eine wichtige Rolle in der psychischen Bewältigung der Krebstherapie, wie Wissenschaftler aus Leipzig und Bad Oeynhausen belegten. [3]


Und so kann Ingwer eingenommen bzw. angewendet werden [7]:

  • Getrockneter Ingwer

ist in der Apotheke im Ganzen oder in geschnittener Form erhältlich, diesen klein schneiden oder im Mörser zerkleinern, mit kochendem Wasser übergießen und den Tee für ca. 10 Minuten zugedeckt ziehen lassen. [7]

  • Ingwerpulver

hier lösen sich die Inhaltsstoffe besonders gut. Es kann mit warmem Wasser vermischt und mit einem Löffel eingenommen werden, damit ist auch ein Tee herzustellen. [7]

  • Frischer Ingwer

für Ingwertee diesen in lauwarmes Wasser geben, aufkochen und dann für rund 10 Minuten mit Deckel köcheln lassen, oder ein Stückchen Ingwer mit heißem Wasser für eine halbe Minute in den Mixer geben, und dies dann trinken. [7]

  • Ingwerextrakte

gut für Menschen, die den Geschmack der Wurzel nicht mögen, sind als Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel erhältlich, Inhaltsstoffe liegen hier in konzentrierter Form vor. [7]

  • Ätherisches Ingweröl

als Aromatherapie Ingweröl in der Duftlampe mit Wasser verdampfen lassen. [7]

Literaturverzeichnis
[1] Deutsche Krebsgesellschaft, D. G. (2017). Leitlinienprogramm Onkologie (D. K. Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Hrsg.) Abgerufen am 10. Oktober 2019 von www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Supportivtherapie/LL_Supportiv_Langversion_1.1.pdf
[2] Deutsche Krebsgesellschaft, D. G. (A2017). Leitlinienprogramm Onkologie. (D. K. Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Hrsg.) Abgerufen am 15. Oktober 2019 von www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Psychoonkologieleitlinie_1.1/LL_PSO_Langversion_1.1.pdf
[3] Deutsches Gesundheits Portal (Hrsg.). (2019). Deutsches Gesundheitsportal. Abgerufen am 20. Oktober 2019 von www.deutschesgesundheitsportal.de/2019/04/01/einfluss-von-selbstwirksamkeit-auf-die-lebensqualitaet-von-krebspatienten-2/
[4] dkg-web Redaktion (i.V. Daniela Christmann). (2015). Krebsgesellschaft. Abgerufen am 20. Oktober 2019 von www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/nebenwirkungen-der-therapie/beschwerden-bei-krebstherapien-und-gegenmassnahmen/ueb.html
[5] Kühne, S. (2018). Skript Nebenwirkungen der onkologischen Therapien, Nausea/Emesis.München Klinik Akademie, Bayern, Deutschland.
[6] MASCC, & ESMO (Hrsg.). (2016). www.mascc.org, 1.2. (F. Roila, A. Molassiotis, J. Herrstedt, R. Gralla, & M. Aapro, Produzenten) Abgerufen am 21. Oktober 2019 von www.mascc.org/assets/Guidelines-Tools/mascc_antiemetic_guidelines_2016_german_v1.2.pdf
[7] Müller, S. (2019). www.zentrum-der-gesundheit.de. (Z. d. Gesundheit, Herausgeber) Abgerufen am 20. Oktober 2019 von www.zentrum-der-gesundheit.de/ingwer-anwendung-und-wirkung-910107.html
[8] www.krebsinformationsdienst.de. Abgerufen am 29. 09 2019 von www.krebsinformationsdienst.de/leben/uebelkeit/uebelkeit-index.php
 

LAURA FURTNER
arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin im RoMed Klinikum Rosenheim auf einer internistisch- und hämatoonkologischen Station.
Vor fünf Jahren erwarb sie die Zusatzqualifikation zur Praxisanleiterin. Im März 2020 hat sie die Fachweiterbildung "Okologische Pflege" erfolgreich abgeschlossen. furtnerlaura@yahoo.

Bildquelle: amy_lv @AdobeStock

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Unterrichtsprojekts in der onklologischen Weiterbildung der München Klinik Akademie. Initiierung und Projektleitung : Martina Grosch (Gesundheitswissenschaftlerin und Erwachsenenpädagogin M.A.) und Susan Kühne (Gesundheits- und Krankenpflegerin, Kursleitung Onkologische Pflege)

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