Seit über zwei Jahren werden Patienten auf einer spezialisierten Weaning-Einheit in der München Klinik-Harlaching dabei unterstützt, das Atmen ohne Beatmungsmaschine wieder neu zu lernen. Es gibt in der Bevölkerung einen großen und steigenden Bedarf an Beatmungsentwöhnung und nur wenige Zentren, die die aufwendige Prozedur auf diesem Niveau anbieten (nur drei weitere in Bayern). Dabei könnten bis zu 60-70 Prozent der seit langer Zeit beatmeten Patienten noch entwöhnt werden – das wäre gut für die Patienten, die Angehörigen und das Gesundheitssystem. Die erfolgreiche Intensivstation erfüllt höchste internationale Qualitätsstandards und wurde jüngst dafür von der nationalen Fachgesellschaft ausgezeichnet.
München, 4. September 2018. Die Zahl langzeit-beatmeter Patienten nimmt in Deutschland seit Jahren deutlich zu. Bedingt durch die demografische Entwicklung (steigendes Lebensalter, mehr Begleiterkrankungen), die Zunahme von Lungenerkrankungen, den Fortschritt in der Intensivmedizin und vermehrt durchgeführte Operationen im höheren Lebensalter wird sich dieser Trend auch künftig fortsetzen.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) geht von 15.000 bis 30.000 Patienten pro Jahr aus, die nur schwer vom Beatmungsgerät zu entwöhnen sind. Da die Entwöhnung zeit- und personalaufwendig ist, würden Weaning-Bemühungen oft zu früh abgebrochen, obwohl bis zu 60-70 Prozent der Patienten doch noch entwöhnt werden könnten. Selbständiges Atmen ist eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und die Rückkehr in den Alltag. Es ermöglicht den Patienten wieder selbständig zu Sprechen, zu Essen, verhindert Atemwegsinfektionen und beschleunigt die Genesung.
Was bedeutet Weaning?
Nach einer Beatmungsdauer von mehr als einer Woche kommt es vor, dass Betroffene nicht mehr ohne Unterstützung atmen können. Denn auch die Atemmuskulatur wird – wie alle anderen Muskeln – schwächer, wenn man sie weniger benutzt. Dann setzt schnell ein Teufelskreis ein: Beim ersten Versuch, wieder selbständig zu atmen, bekommen viele Menschen Luftnot und geraten in Panik. Die Folge ist eine Fortsetzung der künstlichen Beatmung. Dadurch wird die Atemmuskulatur noch schwächer. Gerade diese Patienten müssen systematisch vom Beatmungsgerät (Respirator) entwöhnt werden (engl. to wean = entwöhnen).
Allerdings benötigt dies nicht nur Zeit, sondern auch zuverlässige Strukturen für eine reibungslose Zusammenarbeit der spezialisierten Ärzte, Intensivpflege und Therapeuten.
Was passiert auf einer Weaning-Station?
Bisher wird die Entwöhnung vielerorts auf der Intensivstation zwischen den akut kritisch Kranken durchgeführt. Die Respiratorentwöhnung (Weaning) spielt mittlerweile eine wichtige Rolle auf Intensivstationen, denn etwa 40 Prozent aller beatmungspflichtigen Patienten fällt es schwer, wieder selbstständig atmen zu lernen. In spezialisierten Einheiten gelingt es mit Hilfe moderner multidisziplinärer Konzepte, dass über 60 Prozent der Menschen mit verzögerter Respirator-entwöhnung (prolongiertes Weaning) wieder ohne Unterstützung atmen.
Erfolgsgeschichte Weaningzentrum Harlaching
Das Lungenzentrum der München Klinik verfügt seit April 2016 über eine eigene Weaning-Einheit am Standort Harlaching. Fünf bis sechs spezialisierte Bettplätze stehen zur Respiratorentwöhnung zur Verfügung. Die Einheit wurde als unmittelbare Erweiterung der Internistischen Intensivstation in der München Klinik Harlaching eingerichtet. In einem abgeschlossenen, ruhigen und hellen Bereich der Intensivstation werden die Patienten wieder an einen geregelten Tag- und Nachtrhythmus gewöhnt und Angehörige sind sehr willkommen. Ein individuelles sowie umfangreiches „Trainingsprogramm“ hilft beim Wiedereinstieg in ein Leben mit selbstständiger Atmung. Hierzu gehört auch die Betreuung der Angehörigen – die mit der Situation oftmals ähnlich stark belastet sind wie der Patient. So wurden seit Beginn 2016 fast 100 Patienten nach Langzeitbeatmung erfolgreich von der Beatmungsmaschine entwöhnt.
Behandlung nach hohen internationalen Standards
Das Pflege- und Ärzteteam in Harlaching hat große Erfahrung in der Respiratorentwöhnung. Seit 2012 ist die Internistische Intensivstation Harlaching Mitglied im nationalen Kompetenznetzwerk WeanNet, das Qualitäts- und Erfolgsmerkmale der spezialisierten Weaning-Einrichtungen miteinander vergleicht. Das Team umfasst neben den Intensivmedizinern, -pflegekräften und Lungenärzten auch einen eigens ausgebildeten Atmungstherapeuten und arbeitet eng mit anderen Fachkräften, wie Physiotherapeuten, Logopäden oder Ergotherapeuten, zusammen. Jüngst erhielt das Zentrum die Auszeichnung als eines der wenigen zertifizierten Weaningzentren durch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP).
Eine Besonderheit ist die enge Verzahnung mit der Akutversorgung kritisch Kranker mit komplexen Begleiterkrankungen in Harlaching als Krankenhaus der Maximalversorgung mit Rettungshubschrauberstützpunkt.
Prof. Dr. F. Joachim Meyer, Chefarzt und Leiter des Lungenzentrums München (LZM Bogenhausen-Harlaching), betont die medizinische und pflegerische Herausforderung und erklärt warum das Weaningzentrum Harlaching eine Versorgungslücke schließt: „Einerseits versorgen wir akut kritisch Kranke intensivmedizinisch und andererseits begleiten wir die dann wachen Patienten und ihre Angehörigen individuell und nah mit auf dem Weg schrittweise zurück ins selbstständige Leben ohne Beatmungsmaschine. Das schöne ist: wir verhelfen hier Patienten und Angehörigen zu mehr Lebensqualität und schaffen gleichzeitig Entlastung unserer dringend für die Akutversorgung benötigten Kapazitäten auf den Intensivstationen. Gerne wollen wir weiter wachsen und zusätzliche Pflegekräfte für die spannende Aufgabe gewinnen.“
Über WeanNet: Eine flächendeckende Versorgung dieser Menschen zu gewährleisten und auf dem noch jungen Gebiet der Beatmungsmedizin die nötigen Qualitätsstandards zu etablieren, stellt das Gesundheitssystem vor eine neue Herausforderung. Vor diesem Hintergrund hat die DGP 2009 das WeanNet gegründet. Getragen wird das Projekt von der Erkenntnis, dass das Weaning von langzeitbeatmeten Patienten erfolgreicher sein kann, wenn neben der medizinischen Kompetenz eine auf prolongiertes (= verlängertes) Weaning bezogene Struktur- und Prozessqualität vorhanden ist. Das bundesweit arbeitende Kompetenznetzwerk WeanNet unterstützt spezialisierte Weaning-Zentren in inhaltlichen und organisatorischen Anliegen. Eines der wichtigsten Ziele von WeanNet besteht darin, im Rahmen eines anspruchsvollen Zertifizierungsverfahrens eine überprüfbare Weiterentwicklung dieser Zentren zu fördern, um die Versorgung und Behandlungsqualität von Weaning-Patienten zu verbessern. Die Zertifizierung und ein Patientenregister mit inzwischen über 10.000 Einträgen sind die zentralen Instrumente der Qualitätssicherung. Zudem lassen sich durch Auswertungen des Registers epidemiologische Daten für die Kommunikation mit Krankenkassen und politischen Entscheidungsträgern ableiten.
Mit seinen fünf Standorten in Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing und der Thalkirchner Straße bietet die München Klinik eine umfassende Gesundheitsversorgung auf höchstem medizinischen und pflegerischen Niveau. Jährlich lassen sich hier rund 140.000 Menschen stationär und teilstationär behandeln – aus München, der Region und der ganzen Welt. Auch in der Notfallmedizin ist Deutschlands zweitgrößtes, kommunales Klinikunternehmen die Nr. 1: Rund 170.000 Menschen werden jedes Jahr in den vier Notfallzentren aufgenommen – das entspricht über 40 Prozent aller Notfälle der Landeshauptstadt. Die Kliniken sind entweder Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität oder der Technischen Universität München. In den über 60 Fachabteilungen gibt es zudem zahlreiche interessante Einsatzmöglichkeiten. Die hauseigene Akademie bietet vielfältige Einstiegs- und Entwicklungsperspektiven und verantwortet die aktive Nachwuchssicherung. Mit rund 500 Ausbildungsplätzen jährlich ist sie die größte Bildungseinrichtung im Pflegebereich in Bayern.