München, 9. November 2020. 90 Minuten schneller im Vergleich zur herkömmlichen Patientenverlegung – das ist das Ergebnis des weltweit einzigartigen Pilotprojektes „Flying Intervention Team“ (FIT) der München Klinik Harlaching, bei dem fliegende Ärzte aus München in Partnerkliniken im Umland fliegen, um schwere Schlaganfälle direkt vor Ort zu versorgen. Nach dem Motto „Time is brain“ ist Zeit bei der Schlaganfallversorgung der entscheidende Faktor, denn beim Schlaganfall sterben pro Minute rund 1,9 Millionen Nervenzellen. Die Zeitersparnis im Vergleich zur üblichen Verlegung von Patienten aus ländlichen Gebieten in ein Schlaganfallzentrum bedeutet für die Patienten daher höhere Überlebenschancen und eine Minimierung des Risikos für Folgeschäden auch bei schweren Schlaganfällen. Am 7.11. wurden die ersten Ergebnisse der Projektphase, die im Februar 2018 gestartet ist, auf dem Welt-Schlaganfall-Kongress der Fachwelt vorgestellt.
Daten zeigen: Versorgung per Heli ist schneller und ermöglicht Schlaganfallpatienten langfristig eine bessere Lebensqualität
Die Datenauswertung, bei der 60 FIT-Flüge mit 57 Patientenverlegungen verglichen wurden zeigt, dass im FIT-Projekt durchschnittlich eine Zeitersparnis von 90 Minuten erreicht werden konnte. Die Zeit von der Ankunft des Patienten im Krankenhaus bis zum Eingriff konnte sogar um rund 110 Minuten verringert werden im Vergleich zur Verlegepraxis – da der Patient während des Heli-Fluges bereits auf den Eingriff vorbereitet werden kann und die sogenannte Thrombektomie zur Wiedereröffnung der Gefäße direkt nach Eintreffen der Spezialisten durchgeführt werden kann. Bei der Verlegepraxis kann die aufwändige Patientenvorbereitung erst nach dem Patiententransport stattfinden. Von der Zeitersparnis profitieren die Patienten direkt und dauerhaft – viele Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Patienten mit einer schnelleren Therapie bessere Chancen auf ein gutes Behandlungsergebnis haben und dass das Risiko für eine bleibende Behinderung sinkt. „Es hat sich im Projekt schon früh abgezeichnet, dass durch die neue Methode ein enormer Zeitvorteil in der Schlaganfallversorgung entsteht. Die Auswertung der Daten bestätigt das nun endgültig. Damit sind wir unserem Ziel, eine flächendeckend schnelle Schlaganfallversorgung für Südostbayern zu ermöglichen, ein bedeutendes Stück nähergekommen“, sagt Dr. Gordian Hubert, Projektleiter und Oberarzt für Neurologie in der München Klinik Harlaching.
90 Minuten Zeitersparnis bedeuten in der Schlaganfallversorgung:
- 180.000.000 Neurone werden gerettet
- 1.260.000.000.000 Synapsen werden gerettet
- 1.080.000 Meter Nervenbahnen werden gerettet – das entspricht einer Strecke von München bis Barcelona
- Beim Schlaganfall würde das Gehirn in 90 Minuten um 5,4 Jahre altern – das kann so verhindert werden
So funktioniert das „Flying Intervention Team“
Um vergleichen zu können, ob die fliegenden Ärzte schneller sind als die bislang angewandte Patientenverlegung, wird das Projekt während der Pilotphase im wöchentlichen Wechsel durchgeführt. In einer Woche wurden Patienten, die für einen speziellen Kathetereingriff (Thrombektomie) in Frage kommen, in ein Schlaganfallzentrum mit spezialisierten Neuroradiologen verlegt. In der anderen Woche fliegen die Neuroradiologen direkt zum Patienten – und führen den Eingriff vor Ort in einer Partnerklinik im bayerischen Umland durch. Die Pilotphase des Hubschrauberprojekts läuft seit Februar 2018 und soll zeigen, ob sich dahinter das wegweisende Modell der Zukunft verbirgt. Schlaganfall-Experten aus der München Klinik Harlaching haben das Projekt initiiert und leiten die Untersuchung, die von den Bayerischen Krankenkassen zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren finanziert wird. Die Flüge wurden in der Pilotphase gemeinschaftlich von spezialisierten Neuroradiologen der München Klinik Harlaching und aus dem Klinikum Rechts der Isar der TU München übernommen. Auf Basis der erhobenen Daten will sich die München Klinik nun dafür einsetzen, dass in Zukunft alle geeigneten Patienten in Südostbayern von dem neuen Modell profitieren können.
FIT-Projekt bringt die mechanische Schlaganfallbehandlung in die Fläche
Der Schlaganfall ist mit rund 270.000 jährlichen Betroffenen in Deutschland eine Volkskrankheit und hierzulande die dritthäufigste Todesursache. Vielen schwer betroffenen Patienten kann seit einigen Jahren eine neue Behandlungsmethode helfen: die Thrombektomie. Dabei wird das Blutgerinnsel, das eine Hirnarterie verstopft, mechanisch mithilfe eines Katheters entfernt und die Durchblutung wiederhergestellt. Der Eingriff erfordert eine hohe medizinische Expertise und muss so schnell wie möglich durchgeführt werden. Erhält der Patient die Behandlung rechtzeitig, lassen sich dadurch schwere Behinderungen auch bei schweren Verläufen oft vermeiden. Es gibt bislang jedoch nur wenige Spezialisten, die einen solch komplizierten Eingriff vornehmen können. Diese Neuroradiologen befinden sich meist in großen Schlaganfallzentren, welche sich wiederum in großen Städten bilden. Patienten, die ihren Schlaganfall auf dem Land erleiden, müssen für die Thrombektomie aufwändig in ein solches Zentrum verlegt werden. Durch den Einsatz der fliegenden Ärzte können die Patienten nun viel schneller behandelt werden. Außerdem ermöglicht die neue Methode den Patienten eine ganzheitlich wohnortnahe Behandlung.
Telemedizin bringt hohe Versorgungsqualität aus der Stadt auch auf das Land
Das „Flying Intervention Team“ ist Teil und Weiterentwicklung des telemedizinischen Schlaganfallnetzwerks TEMPiS, das bereits im Jahr 2003 gegründet wurde. TEMPiS gehört mit 24 angebundenen Kliniken, zwei Telemedizinzentren in Harlaching und Regensburg und mehr als 10.000 Patienten pro Jahr zu den größten Netzwerken seiner Art in Europa. Die Ärzte in den Partnerkliniken werden bei der neurologischen Untersuchung, der bildgebenden Diagnostik und der Therapieentscheidung von ausgewiesenen Schlaganfallspezialisten in den Zentren telemedizinisch, also per „Video-Liveschalte“, unterstützt. Mit bis heute über 70.000 durchgeführten Telekonsilen hat sich das Konzept des Netzwerks als Erfolg erwiesen: höhere Versorgungsqualität, geringere Sterblichkeit, kürzere Verweildauer und frühere Diagnose heben den Versorgungsstandard in ländlichen Regionen auf das gleiche Niveau wie in der Stadt. Das „Flying Intervention Team“ soll nun dazu beitragen, dass die Patienten auch in Zukunft über das gesamte Therapiespektrum wohnortnah behandelt werden können. Stellt sich heraus, dass bei dem Patienten eine Thrombektomie durchgeführt werden muss, machen sich die fliegenden Ärzte per Helikopter auf den Weg.
Die München Klinik ist mit Kliniken in Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing und Europas größter Hautklinik in der Thalkirchner Straße Deutschlands zweitgrößte kommunale Klinik und der größte und wichtigste Gesundheitsversorger der Landeshauptstadt München. Die München Klinik bietet als starker Klinikverbund Diagnostik und Therapie für alle Erkrankungen in München und im Umland und genießt deutschlandweit einen ausgezeichneten Ruf – mit innovativer und hochspezialisierter Medizin und Pflege und gleichzeitig als erster Ansprechpartner für die medizinische Grundversorgung. Rund 135.000 Menschen lassen sich hier jährlich stationär und teilstationär behandeln. Mit jährlich über 6.000 Geburten kommen hier deutschlandweit die meisten Babys zur Welt. Auch in der Notfallmedizin ist die München Klinik die Nummer 1 der Stadt: Rund 160.000 Menschen werden jedes Jahr in den vier Notfallzentren aufgenommen – das entspricht rund ein Drittel aller Notfälle der Landeshauptstadt. Die Kliniken sind entweder Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität oder der Technischen Universität München. Die hauseigene Pflege-Akademie ist mit rund 500 Ausbildungsplätzen die größte Bildungseinrichtung im Pflegebereich in Bayern. Als gemeinnütziger Verbund finden in der München Klinik Daseinsvorsorge und herausragende Medizin zusammen und stellen das Gemeinwohl in den Vordergrund: Über die medizinisch-pflegerische Versorgung hinaus gibt es großen Bedarf, der vom Gesundheitssystem nicht refinanziert wird – wie etwa das Spielzimmer für Geschwisterkinder. Und auch die Mitarbeitenden aus Medizin und Pflege, die sich mit ihrer täglichen Arbeit für die Gesundheitsversorgung Münchens einsetzen, können von Zuwendungen in Form von Spenden profitieren – beispielsweise durch die Finanzierung von zusätzlichem Wohnraum. Dafür zählt jeder Euro.