Es ist ein bekanntes Bild: Das Durchtrennen der Nabelschnur unmittelbar nach der Geburt. In der Frühgeborenenmedizin (Neonatologie) der München Klinik gehört dieses Bild jedoch der Vergangenheit an: Neue Medizintechnik in Form eines hochmodernen Versorgungstisches ermöglicht die wichtige Versorgung des frühgeborenen Kindes durch die Mutter über die Nabelschnur bis die Atmung des Kindes sich stabilisiert. Geburtsmediziner*innen, Neonatolog*innen, Anästhesist*innen, Pflegekräfte und Hebammen versorgen alle gemeinsam und nicht nacheinander Mutter und Kind. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Geburtsmedizin, den die Technik ermöglicht und kommt einer „kleinen Revolution für die allerkleinsten Patient*innen“ gleich. Denn: Risiken einer Frühgeburt können reduziert, lebenslange Schäden gar verhindert werden. Die bekanntermaßen enge Kooperation der Expert*innen im Perinatalzentrum wird zum Wohl von Mutter und Kind so weiter intensiviert.
München, 18. Februar 2022. Seit Januar steht der „Concord Birth Trolley“ in einem Kreißsaal der München Klinik Harlaching – als erster Kreißsaal in München und als einer von bislang nur drei weiteren Standorten in Deutschland ist er mit der neuen Medizintechnik ausgestattet. Aktuell ist der hochmoderne Erstversorgungstisch in der Pilotphase, das Harlachinger Team ist von der neuen Technik überzeugt. Das Spendenziel von 30.000 Euro für die nun fest vorgesehene Anschaffung ist fast erreicht. „In der Frühgeborenenmedizin hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Wir können heute Kinder versorgen, die bei der Geburt weniger als 600 Gramm wiegen. Dabei ist die Lunge das kritischste Organ – sie reift als letztes im Mutterbauch und ist bei Frühgeborenen noch nicht so weit, die Atmung selbst zu übernehmen. Deshalb müssen Frühgeborene meist beatmet werden, sobald sie abgenabelt werden – denn dann ist die Sauerstoffversorgung über die Nabelschnur unterbrochen. Dass wir diesen Moment nun nach der Geburt hinauszögern können, kommt einer kleinen Revolution für die allerkleinsten Patient*innen gleich und gibt gerade den Schwächsten, die wir als Frühgeborenenzentrum der höchsten Stufe versorgen, neue Chancen“, so Prof. Marcus Krüger, Chefarzt der Neonatologie in der München Klinik an den Standorten Harlaching und Schwabing.
Mutter und Kind bleiben nach Frühgeburt länger verbunden
Nach der Geburt muss die unreife Lunge von Frühgeborenen sofort beatmet werden, um die notwendige Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. Bisher musste das frühgeborene Kind dazu von den Geburtshelfer*innen sofort abgenabelt und den Kinderärzt*innen zur Versorgung übergeben werden. Die weitere Versorgung fand dann, getrennt von der Mutter, in einem hochmodernen Inkubator statt, der wie ein Brutkasten aussieht und die Bedingungen im Mutterleib bestmöglich nachahmt. Mit der neuen Erstversorgungseinheit rücken Geburtshelfer*innen und Neugeborenenspezialist*innen noch weiter zusammen: Denn Mutter und frühgeborenes Kind bleiben nach Geburt über die Nabelschnur für die ersten Minuten miteinander verbunden. Bis in dieser kritischen Phase die Sauerstoffversorgung gewährleistet ist, wird das Kind weiter über den Mutterkuchen (Plazenta) mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt. Das gibt dem Team und dem Kind gleichermaßen mehr Zeit und reduziert das Risiko einer Unterversorgung und kann sogar mögliche lebenslange Schäden einer Frühgeburt verhindern. Abgenabelt wird erst, wenn die Atmung des Kindes sichergestellt ist – und erst dann folgt die weitere Versorgung im Inkubator.
Paradigmenwechsel: Gemeinsame Erstversorgung im Kreißsaal möglich
Ein großer Vorteil des Erstversorgungstisches ist auch die gemeinsame Versorgung von Mutter und Kind noch im Kreißsaal, die erst durch die neue Technik ermöglicht wird. Die Mutter kann das Frühgeborene dadurch auch unmittelbar nach der Geburt sehen. „In der Geburtshilfe ist es unser oberstes Ziel, die wichtige Mutter-Kind-Bindung von Anfang an zu stärken und eine Trennung nach der Geburt möglichst zu vermeiden. Doch bei instabilen Frühgeborenen, die eine unmittelbare Erstversorgung im Inkubator benötigen, ist das bislang nicht möglich gewesen. Dass die Versorgung am Kaiserschnitttisch nun gemeinsam stattfinden kann, ist ein echter Quantensprung und läutet einen Paradigmenwechsel in der Versorgung von Frühgeborenen ein“, sagt Prof. Christoph Scholz, Chefarzt der Frauenklinik in Harlaching und Neuperlach.
Bislang waren die neonatologischen Kinderärzt*innen bei einer Frühgeburt in getrennten Räumlichkeiten bereit und haben dort die Versorgung des Frühgeborenen in hochmodernen Inkubatoren nachgelagert übernommen, während die Mutter im Kreißsaal weiter versorgt und betreut wurde. Der Erstversorgungstisch „Concord Birth Trolley“ ermöglicht nun die gemeinsame Erstversorgung: Die Neonatolog*innen sind zusätzlich zu dem Geburtshilfe-Team mit Hebammen, Geburtsmediziner*innen, Anästhesiolog*innen und Chirurg*innen mit im Kreißsaal. Nach dem Kaiserschnitt beginnt die Erstversorgung von Mutter und Kind vor Ort parallel. „Bei einer Frühgeburt arbeiten wir in der Geburtshilfe mit den Kinderärzt*innen eng interdisziplinär zusammen und waren bislang nur durch die technischen Möglichkeiten limitiert. Jetzt können wir im Team noch enger zusammenarbeiten. Die neue Technik bringt noch mehr Sicherheit für Mutter und Kind und sollte einen neuen Standard in der Frühgeborenenversorgung setzen“, sagt Lydia Drozd, leitende Hebamme in der München Klinik Harlaching. Möglich wird dieser Paradigmenwechsel, weil es mit den bisherigen Erstversorgungstischen nicht möglich war direkt in den sterilen OP oder so nah an das Kreißbett zu kommen, um eine Versorgung an der Nabelschnur zu ermöglichen. Genau dafür wurde der Birth Trolley erfunden. Die München Klinik ist am Standort Harlaching nach PeriZert in der höchsten Stufe der Frühgeborenenversorgung zertifiziert (Perinatalzentrum Level 1) und versorgt Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht auch unter 1.500 Gramm nach den neusten Erkenntnissen der Frühgeborenen-Intensivmedizin. Eine enge Zusammenarbeit der Neonatologie und Geburtshilfe mit allen beteiligten Berufsgruppen ist in der München Klinik langjährig etabliert und kann durch die neuen technischen Möglichkeiten nun auf die neue Stufe gehoben werden.
Infokasten „Concord Birth Trolley“: Der Name „Concord“ steht für con (=mit) und cord (=Nabelschnur). Die Erstversorgungseinheit besteht aus einer rollbaren dicken grauen Säule an der eine schwenkbare und in der Höhe verstellbare Liegeschale für die Babys angebracht ist. Eine Wärmelampe darüber sorgt für die richtige Temperatur. Daneben zeigt ein großes Display Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung an. Auch die Technik für die Sauerstoffversorgung ist hier direkt mit angebracht. Nach dem Kaiserschnitt wird die Babyschale für das Frühchen direkt über den Bauch der Mutter geschoben. Ein kleiner Sensor, angebracht am Finger des Säuglings, misst die Vitalparameter und die Atmung kann sofort unterstützt werden. Denn erst wenn die Lunge des Kindes belüftet ist, beginnt die Durchblutung und die Sauerstoffzufuhr erfolgt. So beginnt der Atemprozess bei Frühchen. Währenddessen kann die Nabelschnur auspulsieren und getrennt werden, wenn die Säuglingsversorgung mit Sauerstoff gewährleistet ist. Zudem kann das Kind direkt nach dem Kaiserschnitt noch an der Nabelschnur auf der Liegeschale erstuntersucht werden und die wichtige Nähe zur Mutter bleibt bestehen. |
Erstversorgungstisch wird über Spenden finanziert – Spendenziel von 30.000 Euro fast erreicht
Angebote, die über das regelhafte Versorgungsangebot hinausgehen, sind im Gesundheitssystem nicht refinanziert. Deshalb sammelt die München Klinik als gemeinnützige gGmbH Spenden, um solche innovativen Angebote zu schaffen, die über die „üblichen Standards“ hinausgehen und direkt den Patient*innen und ihren Angehörigen sowie der Mitarbeiterschaft aus Ärzteschaft, Pflege und anderen Berufsgruppen zugutekommen. Das Spendenziel von 30.000 Euro für den „Concord Birth Trolley“ wurde innerhalb weniger Wochen fast erreicht – wenige Tausend Euro fehlen noch für eine sofortige Anschaffung. Die München Klinik dankt allen Spender*innen, die dabei unterstützt haben, dass der Erstversorgungstisch nach der aktuell noch laufenden Testphase angeschafft werden kann. Eine Unterstützung des Projekts ist möglich per:
Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft
Empfänger: München Klinik gGmbH
IBAN: DE09 7002 0500 0009 8440 06
Verwendungszweck: „Neonatologie Prof. Krüger“.
Mehr Informationen zum Spendenprojekt sind unter diesem Link verfügbar: https://www.muenchen-klinik.de/geburtstisch. Die Webseite inklusive Spendenmöglichkeiten (Lastschrift oder PayPal) ist auch direkt per QR-Code erreichbar (siehe PDF).
In der Frühgeborenenmedizin zählt jeder Tag und jedes Gramm
In der Regel dauert eine Schwangerschaft 40 Wochen. Wird ein Kind geboren, bevor die 37. Schwangerschaftswoche vollendet ist, spricht man in der Medizin von einer Frühgeburt. Die Babys kommen unreif zur Welt, sie sind noch nicht fertig entwickelt – Gründe für eine Frühgeburt können unter anderem eine Schwangerschaftsvergiftung, das HELLP-Syndrom oder Schwangerschaftsdiabetes sein. Auch ein schwerer Covid-19-Verlauf erhöht das Risiko einer Frühgeburt maßgeblich, weshalb ein Impfschutz für Frauen im gebärfähigen Alter besonders wichtig ist. Eine biologische Grenze, ab wann ein Baby außerhalb des Mutterbauchs überleben kann, gibt es nicht. Je mehr ein Kind wiegt, desto besser. Wenn möglich, wird der Zeitpunkt der Geburt in der Klinik herausgezögert. Dabei zählt jeder Tag – jeder Tag im Mutterleib erhöht die Überlebenschance von extrem Frühgeborenen um zwei Prozent.
Frühgeborenenmedizin auf höchstem Versorgungslevel in der München Klinik
Die Neonatologie der München Klinik gehört nach strenger Qualitätskontrolle zu den besten 20 Prozent der 164 Zentren in Deutschland. An den beiden Standorten Harlaching (Perinatalzentrum Level 1) und Schwabing arbeiten anerkannte Expert*innen bei der vorgeburtlichen Diagnostik, bei der medizinischen Begleitung während der Geburt und bei der Versorgung von früh- und neugeborenen Kindern eng zusammen. In der höchsten Versorgungsstufe können Frühgeborene bereits unter 1.500 Gramm und Frühchen, die mit Fehlbildungen oder Erkrankungen auf die Welt kommen, versorgt werden. In 2021 wurden 87 Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm in der München Klinik versorgt. Die Sterblichkeitsrate liegt in den beiden Perinatalzentren deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die Frühgeborenenversorgung der München Klinik ist mit hochmodernen Inkubatoren ausgestattet, in deren geschützter, warmer Atmosphäre die Frühgeborenen ununterbrochen in den Tagen nach der Geburt verbleiben. Von der Erstversorgung bis zur Station müssen die Frühchen den schützenden Brutkasten weder für Untersuchungen noch für den Transport verlassen – nur zum Kuscheln kommen sie heraus. Die Pflegenden der Kinderintensivstation versuchen den Eltern Sicherheit im Umgang mit ihrem Baby zu vermitteln. Sie geben den Eltern auch Karten mit sogenannten Meilensteinen, die die Entwicklung des Kindes festhalten: die ersten 1.000 Gramm, der erste Tag ohne Beatmung, das erste Mal an Mamas Brust getrunken.
„Alles unter einem Dach“: Frauenkliniken der München Klinik verbinden Exzellenz und Zugewandtheit
Die München Klinik betreut an drei Standorten in Harlaching, Neuperlach und Schwabing Frauen vor, während und nach der Geburt sowie bei allen gynäkologischen Erkrankungen. Der Anschluss an spezialisierte Fachabteilungen in den Krankenhäusern der Maximalversorgung ermöglicht eine vollumfassende Versorgung und Betreuung in allen Stadien der Erkrankung unter „einem Dach“. Vorrangiges Ziel der Frauenmedizin der München Klinik ist es, einen verlässlichen Ort für Frauen zu schaffen, an dem sie gleichermaßen mit medizinischer und pflegerischer Exzellenz sowie mit echter Zungewandtheit betreut werden. Die Verantwortung, die die München Klinik in der Daseinsvorsorge für Frauen aus München und dem Umland übernimmt, zeigt sich auch in den jährlichen Geburtenzahlen. Nirgends in Deutschland werden mehr Kinder geboren – im Jahr 2021 kamen 6.740 Kinder in den Frauenkliniken der München Klinik zur Welt. In der Pandemie ermöglichen umfassende Sicherheitskonzepte eine sichere Geburt sowie die wichtige „Einheit der Familie“ während der Geburt und am Wochenbett.
Die München Klinik ist mit Kliniken in Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing und Europas größter Hautklinik in der Thalkirchner Straße Deutschlands zweitgrößte kommunale Klinik und der größte und wichtigste Gesundheitsversorger der Landeshauptstadt München. Die München Klinik bietet als starker Klinikverbund Diagnostik und Therapie für alle Erkrankungen in München und im Umland und genießt deutschlandweit einen ausgezeichneten Ruf – mit innovativer und hoch spezialisierter Medizin und Pflege und gleichzeitig als erster Ansprechpartner für die medizinische Grundversorgung. Rund 135 000 Menschen lassen sich hier im Schnitt pro Jahr stationär und teilstationär behandeln. Mit jährlich über 6000 Geburten kommen hier deutschlandweit die meisten Babys zur Welt. Auch in der Notfallmedizin ist die München Klinik die Nummer 1 der Stadt: Bis zu 160 000 Menschen werden jedes Jahr in den vier Notfallzentren aufgenommen – das entspricht rund einem Drittel aller Notfälle der Landeshauptstadt. Die Kliniken sind entweder Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität oder der Technischen Universität München. Die hauseigene Pflege-Akademie ist mit rund 500 Ausbildungsplätzen die größte Bildungseinrichtung im Pflegebereich in Bayern. Als gemeinnütziger Verbund finden in der München Klinik Daseinsvorsorge und herausragende Medizin zusammen und stellen das Gemeinwohl in den Vordergrund: Über die medizinisch-pflegerische Versorgung hinaus gibt es großen Bedarf, der vom Gesundheitssystem nicht refinanziert wird – wie etwa das Spielzimmer für Geschwisterkinder. Und auch die Mitarbeitenden aus Medizin und Pflege, die sich mit ihrer täglichen Arbeit für die Gesundheitsversorgung Münchens einsetzen, können von Zuwendungen in Form von Spenden profitieren – beispielsweise durch die Finanzierung von zusätzlichem Wohnraum. Dafür zählt jeder Euro.