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Hand in Hand

Hand-Rettung nach schwerem Unfall bei der Hopfenernte

Eine Hand voll Zuversicht

Am 18. September 2021 hat Sophia ihre linke Hand bei einem Unfall an der Hopfenpflückmaschine verloren. Heute kann sie wieder häkeln. Dank modernster Medizin, aber vor allem auch dank viel Durchhaltevermögen und einer starken Familie.

CT-Topogramm

Wer Sophias Röntgenbilder sieht, erkennt sofort: Alle fünf Finger der linken Hand sind abgetrennt. Wie Puzzlestücke reihen sie sich entlang der Mittelhandlinie auf. Nur fehlt jede Linie. Seltsam ungleichförmig liegen sie da. Das war kein glatter Schnitt.

Wenige Stunden zuvor packt die 14-Jährige Sophia noch auf dem heimischen Hof in Siegenburg mit an. Es ist Samstag. Der Familienbetrieb ist mitten in der Hopfenernte. Sie reinigt gerade den Häcksler der Hopfenpflückmaschine. Parallel kommt ein Mitarbeiter an die Maschine. Er kann das Mädchen von der Konsole aus nicht sehen. Und schaltet sie ein.

Dann geht alles sehr schnell. „Ich war voll da!", erinnert sich Sophia. Reflexartig fängt sie die Finger auf, bevor sie in der Maschine verschwinden können. Ebenso reflexartig eilt ihr ihre Schwester Theresa zur Hilfe.

„Ich war voll da!“, erinnert sich Sophia an den 18.09.2021.

Theresa legt einen Druckverband an. Sie alarmiert den Notruf mit dem Hinweis „Wir brauchen eine Spezialklinik!“ Sophia wird damit nicht ins nächste Krankenhaus, sondern direkt mit dem Rettungshubschrauber in die München Klinik Bogenhausen gebracht.

„Wir brauchen eine Spezialklinik!“

An diesem Wochenende hat Chefarzt Prof. Dr. Niclas Broer Dienst. Der zum damaligen Zeitpunkt geschäftsführende Oberarzt der Klinik und Leiter der Bereiche Rekonstruktive Brustchirurgie und Ästhetische Chirurgie ist ein ausgewiesener Experte der rekonstruktiven Handchirurgie. Als er den Anruf erhält, macht er sich sofort bereit. Es ist Wochenende. Ein Ausbildungsassistent steht ihm zur Seite. 

Sophias Bilder aus dem CT verheißen einen sehr anspruchsvollen Einsatz. Es ist ein erheblicher Anteil an Knochen und Weichteilgewebe inklusive der Sehnen sowie versorgenden Gefäßen und Nerven als separates Stück herausgerissen. Das Ziel: So viele Finger wie möglich retten. Dass die ganze Hand wieder funktionsfähig wird, eher unwahrscheinlich.

„Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht: Eine Abtrennung am Fingergrundgelenk – und das am Wochenende. Alle Gefäße, Gelenke, Sehnen – alles kaputt. Es gibt nicht viele Kliniken, die so eine Operation anbieten können.“
Geschäftsführender Oberarzt Prof. Dr. Broer, Sophias Operateur

„Da tickt die Uhr sehr laut!“

Prof. Dr. Broer bringt viel Erfahrung mit und lässt trotz schlechter Prognose nichts unversucht. Er weiß „Man muss einfach machen! Schritt für Schritt." Vor ihm und dem Assistenten liegen zwei Mal 10 Stunden konzentrierte Arbeit. Eine sehr kleinteilige Arbeit in dem eng vernetzten Bereich der Hand. Unter dem Mikroskop fügt er die zerissenen Strukturen nacheinander wieder zusammen. „Wir hatten keine sauberen Schnitte, alles war ausgerissen. Das macht es natürlich schwer.“

Und die Uhr tickt. Denn die Finger müssen schnellstmöglich wieder mit Blut versorgt werden. Irgendwann merkt er: „Wir haben eine Chance. Es funktioniert!“ Er schließt weiter eins ums andere Gefäße, Nerven, Venen an. Nach 10 Stunden ist er fertig. Die Finger sind gut durchblutet. Aber nur kurz. Denn obwohl die OP gut verlaufen ist, verfärben sie sich nach wenigen Stunden bläulich. Eine zweite Operation ist notwendig. 

Zerstörte Venen müssen durch Transplantate aus dem Fußrücken ersetzt werden. Dabei wird ein großes Stück Haut inklusive der darin befindlichen Venen vom Fuß entnommen (venous flow through flap) und im Ganzen transplantiert. Unter dem Mikroskop werden dann möglichst viele Venen wieder angeschlossen. In weiteren 10 Stunden gelingt es ihm, sowohl den arteriellen Zufluss als auch den venösen Abfluss für alle Finger wieder vollständig zu gewährleistet.

„Wir sind stolz, eine so komplexe Rettung geschafft zu haben. Sehen möchte ich sowas aber nicht nochmal.“

Sophia kann wieder häkeln.

Physio- und Ergotherapie gehören zur intensiven Rehabilitation.

Der Pinzettengriff funktioniert wieder.

Wann gibt man Entwarnung?

Das Anschließen der Finger ist eine Sache. Es bleibt die Frage: „Sind sie nur replantiert oder auch funktionsfähig?" Sophia bleibt lange im Krankenhaus. In der Corona-Zeit fühlt sie sich aber gut aufgehoben in der München Klinik, kann ihre Familie sehen. Schnell folgt sie wieder dem Online-Unterricht. Von der Klasse empfängt sie eine Box. Darin Briefe ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. Sophia erfährt einen starken Halt. Insbesondere von ihrer Familie, die nichts unversucht lässt, sie zu unterstützen, körperlich und seelisch. Das gibt ihr Kraft für die viele Ergo- und Physiotherapie, für die vielen Herausforderungen des Alltags.

Doch Prof. Dr. Broer ist auch bei der Entlassung noch vorsichtig mit einer Prognose. Und auch Sophia blickt immer wieder kritisch auf die Finger, bemerkt jede noch so kleine Verfärbung sofort. Es geht gut. „Alles wird gut", sagt der Mediziner schließlich bei einem Treffen im Sommer 2023. Da kann Sophia bereits eine Glasflasche tragen. Und noch viel mehr.

„Jedes Mal, wenn wir uns treffen, freue ich mich so sehr zu sehen, wie weit sie schon ist.“

Viele Hindernisse. Voller Optimismus.

Neunmal wurde Sophia stand Sommer 2023 operiert. Die Hand - sie wird immer besser. Eines der größten Hindernisse aber ist ihr Körper: Er hat mit einer Bewegungsstörung auf das Trauma reagiert, eine Ataxie. Sophia ist deshalb lange auf einen Rollstuhl angewiesen. Dann auf Krücken. Heute reicht oft eine haltende Hand. Diese reicht ihr vor allem ihre Familie.

„Das Schwierigste war, nichts alleine zu können“, sagt Sophia mit starkem Blick. Sie übt und übt und übt, jeden Tag. Wo es Hilfestellung braucht, baut sie sich Brücken. So nutzt sie beispielsweise zum Zopfbinden einen Einhand-Haargummi. Auch ihr Hobby, das Häkeln, hat sie wieder angefangen. Sie legt eine orthopädische Manchette an und hält die Häkelnadel fest in der Hand. Querflöte spielen, Fahrradfahren, „das wird alles wieder. Aber es braucht Zeit", betont Prof. Dr. Broer. Er sieht seiner Patientin nach. Sie geht mit ihrer Schwester wieder zurück auf den heimischen Hof. Hand in Hand.

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